Nach den 2 letzten Bike-OL-Wettkämpfen der Saison 2020, startete ich meine wohlverdiente Trainingspause. Wohlverdient?

Bei der Trainingsanalyse stellt man fest, dass ich das Krafttrainingvolumen gegenüber dem Jahr 2019 um 421% gesteigert hatte! Eine solch extreme Zunahme war nur dank der sorgfältigen Planung von „Ättä“ Schaffner möglich. Ich blieb verletzungsfrei und werde jetzt in der Szene mit Hulk oder Arnold Schwarzenegger verglichen.

Doch meine Trainingspause war von kurzer Dauer. Am ersten Tag, um 19:37, bekam ich von meinem Kollegen und ehemaligen WG-Gspänli Flo Howald folgende WhatsApp Nachricht: “https://les-cols-de-zurich.ch/ Saison verbi, iz hesch Zitt für so Sache, oder? Bi hüt bim #1 gsi.. Chnüppuhert so e Rennvelo-Bergstrecki“

Nach einem Besuch auf der genannten Website verstand ich, dass les-cols-de-zurich eine Trainings-Wettkampf-Serie ist, bei der jede Woche eine Bergetappe gefahren werden soll. Die Zeitmessung erfolgt über GPS und der Social Media Plattform Strava. Mir war sofort klar, dass ich die Trainingspause auf Eis legen werde und mein ganzes Leben fortan ausschliesslich auf diese 3 Etappen ausrichten würde, denn zu gewinnen gibt es neben Ruhm auch jede Menge Preisgeld Ehre.

Etappe 1: Deadline 27.09. 3.2km, 200hm

Nach einer Konsultation der Wetterprognose war der optimale Zeitpunkt für einen Angriff am Col de Roche schnell gefunden. 21°C und Windstille sollten eine überirdische Zeit ermöglichen. Zuerst musste jedoch mit meinem Betreuungsteam die Strecke vor Ort analysiert werden: von der Buechenegg-Passhöhe kommend, fuhren wir den letzten Abschnitt grösstenteils auf einer Kiesunterlage zum Ziel zur Felsenegg hoch. Schlaglöcher wurden mental markiert und die Taktik festgelegt: ab dem Verlassen der Buechenegg-Strasse sollte ich in der Fläche Kräfte sparen und dem Hinterrad des Teamkollegen und Klassikerspezialisten Severin Denzler folgen und anschliessend zum Schlussfurioso ansetzen.

Mit dem super leichten Bergrad von Sevi flitzte ich ins Reppischtal hinunter und startete meinen Angriff. Ein guter Rhythmus war schnell gefunden, so absolvierte ich die ersten 1.7km bei 7% Gefälle mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 20km/h. Auf dem folgenden Flachstück hatte ich jedoch Mühe dem Tempo von Sevi zu folgen. Unglücklicherweise funktionierte der Teamfunk nicht, weshalb ich einige lautstarke Anweisungen erteilen musste. Mit 48km/h schossen wir in eine komplizierte Kurvenkombination bis wir an der Muur de Hinterbuchenegg bei 20% Gefälle etwas ausgebremst wurden. Sevi riss in diesem Moment so stark an den Pedalen, dass er aus der Klickpedale rutschte. Auf diese Weise vergaben auch Legenden wie Nino Schurter (2018) oder Marc Hirschi (2020) Siege… Mit dem Ziel vor Augen schaltete ich aufs grosse Kettenblatt und sprintete den Schlussanstieg zur Felsenegg hoch.

Rang 3, 7:47, 33″ Rückstand auf Flo Vogel

Etappe 2: Deadline 04.10. 3.3km, 224hm

Die Strecke des 2. Passes, des Col de Lim, führte von Küsnacht ZH nach Limberg. Bereits bei der virtuellen Vorbereitung stellte ich fest, dass diese Strecke einfacher einzuteilen ist. Auf asphaltierter Unterlage gestaltete sich die Strecke nach einer regelmässigen Steigung 600 Meter vor dem Ziel beinahe flach.

Von meinem Arbeitsort Nänikon fuhr ich ans Segment-Ende und entledigte mich aller unnützen Dinge: Trinkflasche, Windjacke und Handy. Leider musste ich dieses Mal auf den Team-Support verzichten. Trotzdem gelang das Pacing optimal. Im Stil von Pogačar flitzte ich den Hügel hoch. Ich ging dabei so tief in den Keller, dass ich beim Ziel nur noch verschwommen sah und beinahe unkoordiniert vom Rad stürzte.

Rang 3, 9:08, 25″ Rückstand auf Flo Vogel

Etappe 3: Deadline 11.10. 3.2km, 234hm

Die komplexeste Etappe mit 70% Kies und 30% Asphalt. Bei solchen Eigenschaften stellt sich die Frage nach dem idealen Gefährt. Sollte ich mein 7.8kg leichtes Rennrad oder das 9kg schwere Hardtail verwenden? Die Abstimmung im Bike-OL Kader zu dieser Frage verlief ähnlich eng wie jene zu den Kampfjets. Auch nach diversen wissenschaftlichen Studien und Feldversuchen wurden sich die Experten Ädu und Silas nicht einig, so musste ich mich auf mein Bauchgefühl verlassen und wählte das Rennrad. Den Reifendruck verringerte ich aufgrund des hohen Kiesanteils auf 3.5 bar.

Optimale Wetterbedingungen konnte ich nicht wählen, da ich wegen einem J+S Kurs die letzte Woche bis zum Challenge-Ende in Burgdorf verweilte. Wenigstens fand ich ein Zeitfenster ohne Regen. Die Temperatur betrug 9°C und es herrschte etwa 15km/h Südwestwind. Dieser unterstützte mich auf den ersten Metern durch Ringlikon hindurch, blies mir danach aber auch voll entgegen. Ich versuchte das Tempo zu halten und begann Blut zu schmecken. Nach 6 Minuten fuhr ich an die Wand. Ich ignorierte den Schmerz in den Beinen und Lungen und sprintete weiter Richtung Uto Kulm hoch. Ab der Bergstation Üetliberg wurde es so eng wie kurz vor der Passhöhe einer Pyrenäenetappe. Nur waren es in meinem Fall keine frenetischen Fans, sondern äusserst schwerhörige und schwerfällige Spaziergänger. In diesem Moment war ich wirklich froh, die Glocke nicht demontiert zu haben. So bildeten sich schmale Lücken, durch welche ich mich im Stil von Marcel Hirscher ins Ziel schlängelte.

Rang 3, 9:24, 27″ Rückstand auf Flo Vogel

Diese 3 konstant guten Leistungen reichten für einen 2. Platz im Gesamtklassement. Klar hätte ich gerne Flo Vogel geschlagen, doch in der ersten Saison nach seinem offiziellen Rücktritt war gegen ihn kein Kraut gewachsen. Geholfen hat ihm sicher auch sein S-Works Tarmac SL7, das etwa 1kg leichter ist und zu ungefähr 10% weniger Luftwiderstand führt. Doch ganz im Sinne von Eddy Merckx: “don’t buy upgrades, ride up grades”, benutzte ich mein “altes” Material.